Nach den Vorstellungen von Alberto Camenzind, Chefarchitekt der fünften Schweizer Landesausstellung, sollten die Bauten der Expo provisorisch sein. Ganz in diesem Sinne entwickelte Max Bill ein Bausystem, das einen raschen Auf- und Abbau ermöglichte und damit den Ansprüchen an einen Pavillon entsprach, der nur gerade ein halbes Jahr Bestand haben sollte.
Die Leichtbaukonstruktion basierte auf industriell vorgefertigten Standardelementen, die in einem modularen Raster mit einer Seitenlänge von 5 Meter und einer Höhe von 3,5 Meter zusammengesetzt wurden. Das dreidimensionale System aus verzinktem Stahl bestand aus vertikalen Rohren mit einem Durchmesser von 160 Millimeter und einem quadratischen Stützkopf am oberen Ende, der die horizontalen Träger aufnahm, auf denen die selbsttragenden gerippten Faserzementplatten des Daches auflagen. Jedes Element dieser Tragstruktur diente zugleich auch der Ableitung des Regenwassers. Als Aussenverkleidung wurden 1,2 × 3,2 Meter grosse Elemente verwendet: mit weissem Kunststoff oder Chromstahl beschichtete Pressholzplatten und transluzente Paneele aus Polyester und Glas.
Dieses System war zwar streng, aber auch flexibel und erlaubte dank den 1,5 Meter hohen Gitterträgern doppelgeschossige, 7 Meter hohe Räume und Spannweiten von bis zu 20 Meter. Luftaufnahmen zeigen ein 18 600 m2 grosses komplexes Ensemble aus nebeneinander liegenden Quadern und dem Hof der Künste: einem von Säulen umgebenen quadratischen Hof (Peristyl) mit einer Seitenlänge von 30 Meter. Max Bill beschrieb sein Werk als eine autonome Kleinstadt, weil es dort fast alles gab: ein Theater, ein Kino, eine Buchhandlung, ein Café und eine Bar. 1965 wurde der Pavillon in Einzelteilen weiterverkauft. Nur das Theater entging diesem Schicksal.
Am 25. Mai 1965 erwarb die Stadt Lausanne diesen Teil des Pavillons – 2300 m2 oder 12,5 Prozent des gesamten Komplexes. Hinter den Kulissen hatte Charles Apothéloz, damals künstlerischer Leiter der dramatischen Abteilung des Stadttheaters Lausanne und seit 1959 Theaterbeauftragter der Expo 64, seine ganze Überzeugungskraft für den Erhalt und eine weitere Nutzung des Saals mit seinen 380 Plätzen über die Landesausstellung hinaus eingesetzt. Schliesslich gelang es ihm, Stadtpräsident Georges-André Chevallaz für seinen Vorschlag zu gewinnen.
Die Struktur des Theaters unterscheidet sich von der des restlichen Pavillons. Baustellenfotos zeigen neben der Rohrkonstruktion aus verzinktem Stahl ein System aus mennigrot gestrichenen Eisenträgern. Max Bill erklärte dies mit Sicherheitsüberlegungen, aber es ermöglichte dem Bau auch eine lange Lebenszeit. Das Theater, das zunächst als Proberaum genutzt wurde, beherbergte ab 1972 das Centre dramatique de Lausanne. Es wurde mehrmals umgebaut, um die Sicherheit und ein Mindestmass an Komfort zu gewährleisten. Zu Beginn der letzten Bauetappe waren von der ursprünglichen Substanz nur noch die Tragstruktur und einige Faserzementplatten des Daches übrig geblieben. Das Theater zeichnete sich aber immer noch durch eine starke visuelle Identität und eine architektonische Kohärenz aus, die sich unmittelbar aus den konstruktiven und ästhetischen Überlegungen von Max Bill ergaben. Bei aller Wertschätzung der materiellen und kulturellen Vorzüge eines Werkes darf jedoch sein Gebrauchswert nicht vergessen gehen. Das Théâtre de Vidy, das seit Jahrzehnten unter der Leitung renommierter Regisseure steht, hat sich einen Namen als eine der führenden Bühnen gemacht. Die Aufgabe des Büros Pont12 bestand somit nicht nur darin, das Theater bezüglich Energie, Sicherheit, technischen und szenografischen Anlagen zu ertüchtigen. Ebenso und vor allem mussten die Leistungsfähigkeit der Bühne und der Komfort für Kunstschaffende, technisches Personal und Publikum verbessert werden. Die Raumabfolge und -verteilung wurden klarer gestaltet. Die Garderoben befinden sich nun im ersten Stock mit Blick auf den See und nicht mehr im Untergeschoss. Der grosse Saal wurde komplett umgebaut, angehoben und um ein Raster verlängert, sodass er nun über 430 Plätze mit guter Sicht verfügt. Im Südosten wurde ein neuer Proberaum angebaut, der mit 15 × 15 Meter die gleichen Masse wie die Hauptbühne im grossen Saal aufweist. Die ebenerdige Erweiterung fügt sich in Max Bills modularen Raster ein und ermöglicht es, den Hof der Künste wieder besser spürbar zu machen.
«Bilden und gestalten»: Der Name des Pavillons passt gut zum Kulturpolitiker Max Bill. In seinem Buch FORM schrieb er 1952, Bildung sei das einzige Mittel, um eine Bresche in die liberale Propaganda zu schlagen. Und er präzisierte, unter Bildung verstehe er im ursprünglichen Sinn des Wortes die Ausbildung des Menschen gemäss seiner tiefen Natur und nicht seine Dressur. Die Worte, mit denen der aktuelle Intendant des Theaters, Vincent Baudriller, die vom Büro Pont12 geleistete Arbeit würdigte, hätten Max Bill sicher glücklich gemacht: «Mit diesem renovierten und modernisierten Gebäude und einem Team, das über ein vielfältiges Know-how verfügt, werden wir unsere Arbeit fortsetzen – damit das Théâtre de Vidy ein Raum der Kreation, der Freiheit und des Widerstands bleibt, in dem Künstlerinnen und Künstler von hier und anderswo lebendige ästhetische Formen gestalten können, die unsere Epoche reflektieren und hinterfragen.»
Christian Bischoff, Architekt
Clou rouge «Entre l'eau et nous»
Samedi 31 août 2024: vernissage du Clou rouge au Théâtre de Vidy, Lausanne à 11h30 et visites du Théâtre de Vidy (10h) et de Lausanne
Jardins (13h30, 16h).
Organisé par la section vaudoise de Patrimoine suisse en partenariat avec Lausanne Jardins et le Théâtre de Vidy.
Inscription jusqu’au 28 août.