Text: Marco Guetg, Journalist
Fotos: Marion Nitsch, Fotografin
Im Fokus der Ausgabe 1/2024 der Zeitschrift Heimatschutz/Patrimoine steht die Biodiversität im Siedlungsraum. Vielen ist nicht bewusst, wie kritisch der Zustand der Biodiversität in der Schweiz ist und wie sehr unsere Lebensqualität von einer intakten Natur abhängt. Seit Jahrzehnten ist das Denken und Handeln des Schweizer Heimatschutzes vom Verständnis der Nachhaltigkeit geprägt, weshalb er auch zu den Trägerorganisationen der Biodiversitätsinitiative für mehr Natur und Baukultur gehört, über die im September abgestimmt wird.
Biodiversität erfasst auf drei Ebenen die natürliche Vielfalt: die genetische Vielfalt, die Vielfalt der Arten und schliesslich die Vielfalt der Lebensräume. Nichts steht für sich allein, alles hängt zusammen. Wichtig ist für mich vor allem aber die Frage, warum man die Biodiversität erhalten soll. Die Biologin und Umweltethikerin Uta Eser hat darauf mit einem treffenden Dreischritt geantwortet: Erstens, «weil es klug ist. Wirtschaft und Gesellschaft hängen von funktionierenden Ökosystemen ab». Zweitens, «weil sie glücklich macht. Biodiversität bedeutet Schönheit, Naturerlebnis, Eigenart und ist damit ein Teil des Strebens nach einem guten Leben», und drittens, «weil es gerecht ist – aus Achtung vor anderen Menschen auf der Welt, vor anderen Menschen in der Zukunft und aus Achtung vor anderen Lebewesen».
Meine Vision wäre, dass die Menschen das Wissen erlangen, wie man die Natur fördern kann und auch die Möglichkeit erhalten, selbst etwas dafür zu machen. Zur Vision gehören auch Menschen, die dem Ganzen das nötige Gewicht geben und die die Flexibilität sowie die Zeit aufbringen können, die Städte gemeinschaftlich in diese Richtung zu entwickeln im Wissen, dass diese Haltung den Menschen und der Natur etwas bringt.
Im Jahr 2000 hat die Stadt Bern ihre naturnahen Lebensräume erfasst und acht Jahre später bei einer Luftbildaktualisierung feststellen müssen, dass die Stadt flächenmässig bereits sieben Prozent naturnaher Lebensräume verloren hat – sei es durch Überbauungen, durch Umbauprozesse oder durch die Siedlungsentwicklung nach innen. Es bestand somit Handlungsbedarf, und der Gemeinderat gab Gegensteuer. Das Biodiversitätskonzept ist einerseits ein politisches Bekenntnis, andererseits eine Leitplanke. Es enthält sechs Stossrichtungen mit 17 relativ offen formulierten Zielen. Nur ein Ziel ist gleichzeitig eine Massnahme. Es schreibt vor, dass bei neuen Überbauungen von Anfang an ein Anteil von mindestens 15 Prozent an naturnaher Lebensraumfläche eingeplant werden muss. Damit hat Bern schon früh den ökologischen Ausgleich formuliert. Dieses klar formulierte Ziel hat wohl am meisten Wirkung gezeigt.
Ja, wobei ich noch nicht detailliert darüber Auskunft geben kann, da wir sowohl inhaltlich wie politisch noch mitten im Prozess stecken. Was sich hingegen heute schon abzeichnet: Wir hatten das Ziel, dass ein Anteil von 17 Prozent der Siedlungsfläche naturnah sein soll. Dieses Ziel müssen wir wohl nach oben korrigieren.
Bei der grundsätzlichen Bereitschaft der Planungsfachleute, die im Biodiversitätskonzept formulierten Aspekte zu berücksichtigen. Das hat sich in den letzten Jahren aber wesentlich gebessert. In den etablierten Büros arbeiten immer mehr Menschen, die sich mit Fragen rund um die Natur auseinandersetzen. Das hat auch mit der Ausbildung der Landschaftsarchitekten zu tun, in der Fragen rund um die Biodiversität an Bedeutung gewonnen haben. Viele Büros leisten sich nun sogar Umweltfachleute, mit denen wir auf Augenhöhe diskutieren können. Problematisch wird es immer dann, wenn eine formale Gestaltung im Vordergrund steht, die nicht mehr entwickelbar ist und eine intensive Pflege braucht. Das widerspricht der Natur.
Weil wir in Bern den ökologischen Ausgleich im Biodiversitätskonzept als Maxime formuliert haben und mindestens 15 Prozent an naturnaher Lebensraumfläche vorgeschrieben sind, können wir das verlangen. Das ergibt gelegentlich Ergebnisse, die entweder für den Gestalter oder für uns unbefriedigend sind.
Viele Leute bevorzugen in ihrem Wohnumfeld saubere Rasenflächen. Es entspricht ihrem Gefühl von Ordnung und sie fühlen sich zu Hause. Wenn man jedoch erklärt, dass Singvögel zum Füttern ihrer Jungen Insekten brauchen und es dazu hohe Pflanzen braucht, die bis im Frühling braun und verdorrt stehen bleiben, sind viele bereit, wildere Teilbereiche in ihrer Wohnumgebung zu tolerieren. Überhaupt ändert sich die Vorstellung, wie ein guter Aussenraum aussehen und was er leisten soll, seit einigen Jahren stark. Immer mehr Menschen achten bei der Pflege ihres Gartens auf die Biodiversität.
Hunde stören kaum, ausser an Gewässern, wenn die Vögel am Brüten sind. Die Katzen sind das grössere Problem. Es schleichen schlicht zu viele durch die Gegend! Katzen sind verantwortlich für den Rückgang vieler Reptilien und Amphibien und vor allem vieler Jungvögel.
Wenig. Es gab auf allen politischen Ebenen Vorstösse zur Regulierung. Alle waren chancenlos. Daher verfolgen wir einen pragmatischen Ansatz. Wir versuchen die mehrheitlich durchaus naturaffinen Katzenhalter auf die Probleme aufmerksam zu machen und appellieren an ihre Verantwortung, möglichst nur eine Katze halten und diese zu kastrieren. In ökologisch wertvollen Gebieten haben wir aber auch schon versucht, via Eigentümerschaft in Mietwohnungen ein Katzenverbot zu erwirken. Dazu gibt es keine gesetzliche Grundlage, es ist Goodwill.
Ich weiss, obwohl das an sich nichts Besonderes ist. In der Stadt Bern sind bereits heute in der Hälfte aller Mietwohnungen Haustiere verboten. Offenbar erregt jedoch das Argument Biodiversität mehr Aufmerksamkeit als mögliche Schäden an der Wohnung.
Kinderspielplätze können naturnah gestaltet sein und einen hohen Wert für die Biodiversität haben. Für Insekten hat es genug Platz, es werden ja nicht alle Bereiche gleichermassen intensiv genutzt und grössere Stadttiere sind meist in der Nacht unterwegs. Wenn sie Hügel beinhalten, mit Wasser, Holz und Steinen gespielt werden kann und die Entdeckerlust geweckt wird, sind solche Spielplätze für Kinder zudem sogar besonders anregend.
Viele Städte haben inzwischen ein Lichtkonzept für den öffentlichen und teils gar den privaten Raum. Da ist in den letzten Jahren viel passiert, indem man zum Beispiel warmes Licht einsetzt, das nachweislich weniger Insekten anzieht. Es wird auch darauf geachtet, dass Lampen nicht breit streuen, sondern nur gezielt erhellen. Es gibt Siedlungen, die ab 22 Uhr mit der Beleuchtung zurück fahren oder ganz darauf verzichten. Es bevorzugen ja auch viele Menschen in der Nacht dunkle Schlafzimmer. Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass Beleuchtung grosse Auswirkungen auf Tiere hat. Deshalb sollten naturnahe Bereiche nicht beleuchtet werden. Man spricht sogar davon, an wichtigen Stellen Dunkelkorridore einzurichten, , damit sich bestimmte Populationen nachts problemlos bewegen können.
Grundsätzlich ist die Stadt den Menschen gewidmet. Aber es kommt auf die Situation an. Selbstverständlich wägen wir immer auf einen bestimmten Ort bezogen die Prioritäten ab. Und so werden gelegentlich Flächen und Korridore eruiert, wo die Natur den Vorrang hat. An einem anderen Ort wiederum wird anders gewichtet. Wichtig ist, dass man aufgrund fachlicher Grundlagen diskutiert und entscheidet. Es gibt zum Beispiel eine Liste von Arten, für deren Überleben die Schweiz eine Verantwortung trägt. Steht in einem konkreten Fall deren Gefährdung auf dem Spiel, erhalten sie beim Entscheid ein stärkeres Gewicht.
Dann muss man abwägen. Wenn man davon ausgeht, dass die Biodiversität in ihrer Gesamtheit dem Mensch, dem Tier und der Pflanze dient, kann man die einzelnen Aspekte situativ entsprechend differenziert gewichten. Wir finden immer eine Lösung.
Einen riesigen! Es verändern sich dadurch die Lebensräume. Die Auswirkungen der Klimaerwärmung werden stärker wahrgenommen als die Abnahme der Biodiversität und haben politisch ein hohes Gewicht. Da viele Massnahmen für ein erträgliches Stadtklima auch der Biodiversität zugutekommen, können Synergien verfolgt werden. Zum Beispiel sind heute die Erhaltung alter Bäume bei Planungen oder Entsiegelung asphaltierter Flächen selbstverständliche Themen. Vor zehn Jahren hat man darüber nur gelacht.
So weit sind wir in Bern noch nicht. In unserem Konzept steht lediglich, dass der Anteil unversiegelter Flächen nicht grösser werden soll, und das haben wir in den vergangenen zehn Jahren nicht erreicht.
Häufig ergänzen sich Denkmalpflege und Biodiversität positiv. Ich denke vor allem an alte Gärten mit unverfugten Mauern und Biotopbäumen. Bei Anlagen aus dem 20. Jahrhundert gibt es jedoch oft Diskussionen. Da ist es aber meist nicht nur die Biodiversität, die im Wohnumfeld und bei Schulanlagen zu Widersprüchen führt – das sind die Nutzbarkeit und die Klimaanpassungen. Es geht dann darum, wie hoch das Gras sein darf, welche Pflanzen gewählt werden, ob neue Bäume gepflanzt werden, wie viel versiegelt bleiben soll und wie viel Bewuchs auf unversiegelten Flächen zugelassen wird. Dann gilt es abzuwägen: Was macht den Wert einer historischen Anlage aus? Wo darf man wie stark davon abweichen? Diese Antworten stehen noch aus. Da braucht es noch Definitionen.
Wir arbeiten sehr eng mit der Bevölkerung zusammen im Wissen, dass der Schwund der Biodiversität letztlich ein gesellschaftspolitisches Problem ist. Wir haben das Privileg, als Fachleute, die ihren Lohn aus Steuergeldern beziehen, die Gesellschaft in diesem Bereich professionell unterstützen zu dürfen. Wir spüren immer wieder, dass die Leute sich Sorgen machen, sie wollen etwas tun. Wir können Hand bieten und unterstützen, etwa mit Beratung, Druckprodukten, Citizen Science Projekten und unserem mobilen Naturerlebniszentrum. Nicht zu vergessen: Es gibt in den Quartieren viele Menschen, die sich auch ausserhalb ihres Gartens engagieren wollen und für die Biodiversität freiwillig Hand anlegen, beispielsweise Neophyten bekämpfen. Täglich zu spüren, dass wir alle am Gleichen dran sind, macht Freude.
Volksinitiative
«Für die Zukunft
unserer Natur
und Landschaft
(Biodiversitätsinitiative)»
www.biodiversitaetsinitiative.ch