Alois Diethelm Alois Diethelm
Alois Diethelm im Südtrakt des Bahnhofs Enge in Zürich (Foto Sophie Stieger)

Sorgfältiger Umgang mit dem Bestand

Sechs Porträts von Denkmalpflegearchitektinnen und -architekten und ihren Projekten aus verschiedenen Regionen der Schweiz zeigen, wie mit kreativen Lösungen die Qualitäten der bestehenden Gebäude in den Vordergrund gerückt werden können und so quasi der Denkmalpflege in die Hand gespielt wird. Die Auswahl steht exemplarisch für eine grosse Gruppe von Fachleuten, die sich seit Jahren für Erhalt und Umnutzung einsetzen.

Sechs Porträts, publiziert in der Ausgabe 2/2021 unserer Zeitschrift Heimatschutz/Patrimoine: Alois Diethelm, Ruumfabrigg (Nina Cattaneo, Pascal Marx, Bettina Marti), Christophe Amsler, Christian Lang, Men Duri Arquint, Patrik Ziswiler

Alois Diethelm: Bauend Denkmalpflege betreiben

Das Zürcher Architekturbüro Diethelm & Spillmann hat im Südtrakt des Bahnhofs Enge die Obergeschosse saniert. Dabei ging es den Architekten nicht nur darum, rollstuhlgängige Lifte und die Haustechnik zu erneuern. Ebenso wichtig war die Wiederherstellung der einstigen räumlichen Qualitäten.

Karin Salm, Kulturjournalistin, Winterthur


Aufgeregt meldet sich der Bauleiter beim Architekten Alois Diethelm. Man habe in der ehemaligen Grossküche im ersten Obergeschoss Reste eines Buffets gefunden. Ein Fall für die kantonale Denkmalpflege? In solchen Momenten der Überraschung blüht Diethelm regelrecht auf. Blitzschnell skizziert der Architekt drei Varianten: die sichtbare Integration der Buffetteile als Zeitzeugen, den blossen Erhalt versteckt in der Wand und die Entfernung. Der zuständige Denkmalpfleger empfiehlt, die Teile verborgen in der Wand zu behalten. Diethelm ist überzeugt: Wer in Varianten denkt und offen mit der Denkmalpflege in Dialog steht, kommt zügig zum Ziel. Damit sind er und sein Büropartner Daniel Spillmann auch bei der Transformation der Obergeschosse im Südtrakt des Bahnhofs Enge gut gefahren.

Und so sagt der Architekt Erstaunliches: «Bauen ohne Denkmalpflege ist sehr gut möglich. Aber ohne Denkmalpflege zu planen, geht gar nicht.» Der frühe Einbezug der Denkmalpflege schafft also Vertrauen. Diethelm legt auch Wert darauf, dass Bauherren und Denkmalpflege früh gemeinsam am Tisch sitzen und dass das Besprochene in Protokollen festgehalten wird. Diese Protokolle sind das verlässliche Gedächtnis.

Ursprüngliche Qualitäten erfassen

Von 1925 bis 1927 wurde der Bahnhof Enge nach den Plänen der Gebrüder Otto und Werner Pfister erbaut: ein klassischer Stadtbahnhof mit eindrucksvoller Fassade aus Tessiner Granit. 2001 haben die SBB die umfassende Renovation und Sanierung des denkmalgeschützten Bahnhofs gefeiert. Im Auftrag der SBB hatte der Zürcher Architekt Martin Spühler den düster wirkenden Bahnhof in ein Dienstleistungszentrum mit Läden, Restaurant, Büros und Praxen verwandelt. 20 Jahre später hatten die Obergeschosse im Südtrakt eine Ertüchtigung der Haustechnik nötig sowie den Einbau eines rollstuhlgängigen Lifts und einer neuen Treppe, um das zweite Obergeschoss separat zugänglich zu machen. Diethelm & Spillmann haben sich gleichzeitig daran gemacht, die ursprünglichen Qualitäten zu erfassen und wieder hervorzuholen. Im Treppenhaus funktionierte das zum Beispiel so: Die Kombination des weissen, mehrfach überarbeiteten Wandputzes mit dem schwarzen Teppich erschien den Architekten fremdartig und unpassend. Eine Farbanalyse förderte zutage, dass die original nahezu glatt verputzten Wände ocker gestrichen waren. Die Teppiche haben die Architekten durch einen richtungslosen Terrazzoboden ersetzt, da der bauzeitliche Zustand nicht überliefert war. So hat das Treppenhaus die einstige warme Ausstrahlung zurückerhalten. Die Gebrüder Pfister hätten ihre Freude daran. Gefallen würde ihnen bestimmt auch, wie die Architekten die ehemalige Grossküche in einen hellen Warteraum für eine gynäkologische Praxis verwandelt haben oder wie sie in den Büros markante Sockelleisten aus Eiche haben verlegen lassen. Auf diesen Leisten wurden die ganzen Leitungen hinter einer Aluminiumabdeckung versorgt, um die Wände nicht schlitzen zu müssen. «Wir haben uns früh intensiv mit der Leitungsführung beschäftigt», erklärt Diethelm.

Deckensegel wirken Wunder

Schliesslich zeigt Diethelm auf die Deckensegel, die in jedem Behandlungszimmer montiert sind. Diese Segel wirken Wunder: Sie dienen der Akustik und der Kühlung, sind aber auch Deckenheizung. Wird nämlich die Vorlauftemperatur später durch Umstellung auf eine Wärmepumpe reduziert, kompensieren die Segel die geringe Wärmeabgabe der bauzeitlichen Gussradiatoren, sodass diese erhalten werden konnten. Obwohl in den Räumen viel mehr Technik steckt, konnte die Abhanghöhe der Decken reduziert und konnten die Oberlichter über den Türen wieder freigelegt werden.

Diethelm mag Überraschungen, denn genau diese geben den Ansporn zur Recherche. Und so erstaunt es nicht, dass der Architekt das Bauen im Bestand anstrebt. Ja, sagt Diethelm, er habe sich schon überlegt, ob er nicht die Seite wechseln und als Denkmalpfleger arbeiten wolle. «Aber als Denkmalpfleger muss man oft nur das Schlimmste verhindern. Zudem wäre ich als Denkmalpfleger vermutlich viel zu streng. Darum betreibe ich lieber bauend Denkmalpflege.»

 

Im Südtrakt des Bahnhofs Enge in Zürich (Foto Sophie Stieger)

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Bahnhof Enge, Zürich

Ruumfabrigg Ruumfabrigg
Nina Cattaneo, Pascal Marx und Bettina Marti in Näfels (GL) (Foto Sophie Stieger)

«Ruumfabrigg» Glarus: Die Region als Ressource

Mit dem Umbau eines alten Glarner Bauernhauses machte das junge Architekturbüro Ruumfabrigg den Schritt in die Selbstständigkeit. Aus diesem ersten Kontakt mit denkmalpflegerischen Themen ist ein baukulturelles Engagement für die Region Glarus Nord geworden, das ihr Architekturverständnis prägt.

Lucia Gratz, Architektin und Journalistin


Hier haben sie einen neuen Einbau aus Holz in ein altes Steinhaus gesetzt; dort zeigen sie in Studien auf, welche Ortsteile sich ortsbildverträglich weiterentwickeln lassen. Die Arbeiten des jungen Architekturbüros Ruumfabrigg sind vielfältig: Meistens ist es ein bestehendes Haus, eine Ortschaft, woran sich ihre Entwürfe und Untersuchungen entfalten. Einige ihrer Projekte liegen im nördlichen Glarnerland, wo Nina Cattaneo, Pascal Marx und die Ökonomin Bettina Marti auch aufgewachsen sind. Herkunft verbindet, und die Verbundenheit mit der Region hat dazu geführt, dass sie sich dort schon früh für baukulturelle Anliegen engagiert haben. Seit fünf Jahren gibt es nun ihr Büro. Auch wenn sie heute sowohl von Zürich als auch von Obstalden aus arbeiten, sind die beruflichen Erfahrungen, die sie in der Region gesammelt haben, stets präsent.

Learning by doing

Nina Cattaneo und Pascal Marx hatten ihr Architekturstudium an der ETH Zürich noch nicht abgeschlossen, als sie an ihren freien Tagen in Obstalden oberhalb des Walensees mithalfen, ein altes Bauernhaus auszuräumen. Ihr erster Auftrag sollte ein Ersatzneubau sein. «Je mehr wir uns aber mit dem Haus befassten, desto mehr erkannten wir, wie bewusst es gebaut war.» Es stand am richtigen Ort, nutzte das Sonnenlicht, und die Räume im Inneren lagen gut. «Warum neu bauen, wenn wir es gar nicht besser hätten machen können?» Mit dieser Erkenntnis waren sie in den anspruchsvollen Umbau eines 250-jährigen Hauses hineingeraten. Nach dem Prinzip «Learning by doing» planten sie und leiteten die Baustelle. Obwohl das Haus nicht im Inventar war, wollten sie es so gut wie möglich erhalten. Über zwei Ecken lernten sie so einen Zimmermann aus dem Prättigau kennen, der ihnen beibrachte, mit den Setzungen im Strickbau umzugehen.

Im Studium hatten sie Denkmalpflege als eine etwas verstaubte Disziplin wahrgenommen. «Heute sehen wir in unserer Praxis die Aktualität daran: Es steht ein nachhaltiges Denken dahinter.» Pascal Marx ist seit drei Jahren neben seiner Tätigkeit im eigenen Büro Bauberater bei der Denkmalpflege im Kanton Schwyz. Er weiss, dass denkmalgerechtes Bauen auch nachhaltiges Bauen heisst, da es auf Dauerhaftigkeit setzt und Ressourcen schont, indem es mit dem weitermacht, was bereits da ist.  

Reden übers Dorf

Trotz der Breite ihrer Interessen sind Nina Cattaneo und Pascal Marx in erster Linie Profis für den Raum. Mit Analysen und Konzepten können sie sich am besten für Baukultur einsetzen. Ziel ihrer Studie «Räumliche Dorfbilder Glarus Nord» war es denn auch, das Bewusstsein für die Qualitäten des öffentlichen Raums zu stärken. Die Gemeinde hatte sie 2019 zusammen mit der STW AG für Raumplanung aus Chur dafür beauftragt. «In der Ortsplanung fehlten Grundlagen für eine gesamtheitliche Diskussion über Aussenräume», sagt Nina Cattaneo, «dafür haben wir der Gemeinde Glarus Nord mit dieser Art von Studie ein umfassendes Arbeitsinstrument vorgelegt.» Für jedes der acht Dörfer erstellten sie ein Heft: Anstatt Regeln zu Ausnutzungsziffern und Grenzabständen finden sich darin detaillierte Beschreibungen der Ortsteile und was ihre räumliche Identität ausmacht. Was man liest, ist mit Fotos und Plänen illustriert, auch Perspektiven für Veränderungen zeigen sie auf. Doch war das nur ein Teil der Vermittlungsaufgabe. «Auf den öffentlichen Rundgängen in den Dörfern stellten wir fest, wie wichtig es ist, eine Sprache zu finden, die die Leute verstehen.» Nina Cattaneo erzählt begeistert, wie die Gemeinde dank der anschaulichen Grundlage den Dialog zur Überarbeitung der Nutzungsplanung im Anschluss selbst weiterführen konnte.

Und noch etwas nahm das Team von «Ruumfabrigg» aus der Arbeit an der Studie mit: «Uns ist klar geworden, wie sehr die Dörfer in den letzten Jahrzehnten gewachsen sind. Der räumliche Bruch in den Ortschaften ist spürbar.» Auch sie selbst kennen Glarus Nord nicht ohne Einfamilienhaus- und Gewerbezonen, die für sie mehr Realität als Identität sind. Wird künftig mehr innerhalb der bestehenden Bauzonen weitergebaut, liegt dort eine grosse Chance, in gleicher Weise aussenräumliche Qualitäten zu formulieren, wie man sie in den Dorfkernen häufig antrifft.

 

Dorfansicht von Näfels (Foto Sophie Stieger)

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Räumliche Ortsbilder, Glarus

Christophe Amsler beim Château Saint-Maire in Lausanne (Foto Sophie Stieger)

Christophe Amsler: Unsere Arbeit ist entmutigend und spannend zugleich

Die Fragilität des Steins, aus dem einige historische Denkmäler bestehen, ist eine Herausforderung für die Restaurierung. Für Christophe Amsler erfordert diese Vergänglichkeit des Materials ein Verständnis dafür, dass sich ein Denkmal im Laufe der Zeit entwickelt.

Monique Keller, architecte dipl. EPFL, Zürich


Beim Anblick des Château Saint-Maire in Lausanne kann man kaum glauben, dass es sich dabei um einen Koloss auf tönernen Füssen handelt. Die kubische Festung wurde nämlich aus grüngrauem, weichem Sandstein gebaut, der bei Regen und Frost erodiert. «Man kann fast von Immaterialität sprechen, denn solche Denkmäler, die eigentlich aus gepresstem Sand bestehen, lassen sich in ihrer Materialität nur schlecht erhalten», so Christophe Amsler. Diese Vergänglichkeit des Steins wirkt sich direkt auf die Restaurierungsarbeiten aus. «Solche Bauten brauchen ständige Pflege und eine strategische Erneuerung einzelner Elemente, die viel Feingefühl erfordert. Sandstein macht unsere Arbeit entmutigend und spannend zugleich.»

Der Lausanner Christophe Amsler ist Architekt und Restaurator mit einer Leidenschaft für Geschichte und Geschichten. Und eben diese Geschichten hinterfragt er, wenn er die Restaurierung eines Denkmals vorbereitet. «Es gibt zwei Wege für den Umgang mit dem Kulturerbe: einen statischen, der auf der Dauerhaftigkeit der Objekte beharrt und die Vergangenheit verewigen will. Der zweite Ansatz ist dynamischer: Er anerkennt, dass sich die Dinge verändern, dass gewisse bauhistorische Werte erst dann zur wahren Blüte gelangen, wenn sie in Bewegung gesetzt werden.» Die Zeit, die ihre Spuren hinterlässt, ist also eine wesentliche Dimension des Kulturerbes. Und jedes Gebäude hat seine ganz eigene Art, durch die Zeit zu gehen.

Ein unorthodoxer Eingriff

Das Château Saint-Maire ist seit dem 14. Jahrhundert Sitz der Macht. «Der kluge mittelalterliche Grundriss – ein in drei Teile gegliedertes Quadrat – erlaubt alle Aktivitäten, sogar die zeitgenössischsten», sagt der Architekt. Eine weitere Besonderheit sind die teilweise mehr als drei Meter dicken Mauern des Hauptgebäudes. Jede Generation hat Öffnungen in dieses Material gegraben: Schränke, Fenster, Treppen ... Dasselbe tat das multidisziplinäre Team der Schlossrestauratoren, zu dem auch Christophe Amsler und seine Kollegen Nicolas Delachaux und Danilo Mondada gehören. Sie bauten einen Aufzug in die massige Struktur ein: ein Eingriff, dank dem mehrere mittelalterliche Tore wiederhergestellt werden konnten, der aber auch viel Kritik hervorgerufen hat, so unorthodox ist er.

Ein paar Schritte vom Schloss entfernt steht die Kathedrale Notre-Dame – auch sie aus weichem Sandstein gebaut, der sich bei jedem Regen ein bisschen mehr auflöst. «Die Kathedrale hat dünnere Mauern und ist damit noch fragiler als das Schloss. Sie muss permanent unterhalten werden. Ihre Restaurierung ist ohne Ende.»

Ein exponierter Beruf

Restaurierung ist ein sowohl wissenschaftlicher als auch künstlerischer Fachbereich mit einer eigenen Geschichte. «Die interdisziplinäre Praxis ist hier schon lange gang und gäbe», so Christophe Amsler, der immer mit vielen Experten aus anderen Fachbereichen zusammenarbeitet. «Wir haben die Baudenkmäler den heldenhaften Architekten schon längst aus der Hand genommen», scherzt er.

Ein bisschen Heldenhaftigkeit braucht es aber schon in diesem Beruf, weil das Kulturerbe ein höchst heikler Bereich ist. «Die Rezeption unserer Arbeit ist generell recht schwierig. Die kleinste Veränderung löst leidenschaftliche und manchmal gar aggressive Reaktionen aus.» Klar, Christophe Amsler arbeitet an Ikonen: der Kathedrale Notre-Dame in Lausanne, dem Schloss Valère in Sion, der Stiftskirche Notre-Dame in Neuenburg, dem Schloss Grandson … An Denkmälern also, die allen gehören und bei denen jeder Eingriff mit viel Aufwand erklärt werden muss. «Manchmal ist es schwierig, den Menschen dieses Konzept einer Bewegung, die nicht erstarren darf, verständlich zu machen.» Oder ihnen anders gesagt zu vermitteln, dass das Immaterielle eines Denkmals letztlich widerstandsfähiger ist gegen den Zahn der Zeit als tausendjähriger Stein.
 

Das Château Saint-Maire in Lausanne (Foto Sophie Stieger)

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Cathédrale de Lausanne

Christian Lang Christian Lang
Christian Lang im Bäderhotel «Verenahof» in Baden (Foto Sophie Stieger)

Christian Lang: Ich habe selten etwas Schwierigeres gemacht

Eigentlich wollte Mario Botta nicht nur das neue Thermalbad bauen, sondern gleich die alten Bäderhotels «Verenahof», «Ochsen» und «Bären» mit einer Glaskuppel verbinden und zünftig in die alte Bausubstanz eingreifen. Dann wurde klar: Von der alten Substanz muss mehr erhalten bleiben, und es kam der Basler Architekt Christian Lang mit dem Büro Villa Nova Architekten zum Zug. Zum Glück.

Karin Salm, Kulturjournalistin, Winterthur


Wer sich mit historischer Bausubstanz beschäftigt, betreibt eine Spurensuche, eine Art Detektivarbeit und begibt sich auf eine Zeitreise. Sich mit einem Baudenkmal zu beschäftigen, bedeutet Forschung», sagt der Basler Architekt Christian Lang, der sich mit seinem Büro Villa Nova Architekten auf die Sanierung und Renovation historischer Bauten spezialisiert hat. Seit 2017 verwandelt der Architekt die alten Bäderhotels «Verenahof», «Ochsen» und «Bären» in eine Rehabilitations- und Präventionsklinik. Eine Herkulesarbeit, die eine zünftige Portion Nerven braucht. Nicht wegen der Denkmalpflege. Im Gegenteil. Die Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege schätzt Lang. «Unsere Analyse des Baus liefert die Leitplanken für das Projekt. Aber erst im Dialog mit der Denkmalpflege ergibt sich eine sinnvolle Gewichtung der Vergangenheit.» Dieser Prozess mit der Denkmalpflege sei essenziell. Laut Lang funktioniert er beim Umbau des «Verenahof»-Gevierts ausgezeichnet, unideologisch und auf Augenhöhe.

Im Grenzbereich dessen, was ein Denkmal leisten kann

Anspruchsvoll und bisweilen nervenaufreibend ist die Aufgabe an sich, nämlich ein Denkmal von europäischer Bedeutung in eine topmoderne Klinik mit medizintechnischer Ausrüstung und mit 72 Patientenzimmern umzuformen. «Ich habe selten etwas Schwierigeres gemacht», seufzt Lang. «Wir sind hier im Grenzbereich dessen, was ein Denkmal überhaupt leisten kann.» In ein Denkmal lässt sich also nicht alles ohne Substanzverlust hineinquetschen, erst recht nicht, wenn die neue Nutzung nicht mit der ursprünglichen Aufgabe übereinstimmt. Lang kommt auf das «Les Trois Rois» in Basel zu sprechen. 2004 bis 2006 hat er das Grandhotel renoviert und erweitert. Das 5-Sterne-Hotel blieb ein Grandhotel. Seit der Renovation kann es sogar mit einem sagenhaften Lichthof auftrumpfen, der aufgrund von Einbauten lange verschwunden war. Im «Verenahof»-Geviert ist die Aufgabe um ein X-Faches komplexer. Ein altes Wellnesshotel mit grandiosen Sälen für Geselligkeit und als Bühne für den gesellschaftlichen Auftritt und mit einer Geschichte, die bis auf badende Römer zurückgeht, hat wenig mit einer privaten Rehaklinik zu tun. Sie braucht zum Beispiel eine Grossküche im Untergeschoss, sodass die gewaltigen Gewölbe, die an Fassungen der Quellen erinnern, ausgebrochen werden müssen. Es ist spürbar: Diese brachialen Eingriffe schmerzen den Architekten.

Vom hässlichen Entlein zum stolzen Schwan

Umso mehr freut sich Lang über den prächtigen Elefantensaal im «Verenahof». Um ein Haar hätte der Saal zwölf Zimmern weichen müssen. Natürlich sei das eine absurde Idee gewesen, räsoniert Lang. Aber der ökonomische Druck sei enorm, und grosse, alte Hotelsäle präsentierten sich leider oft als hässliche Entlein. Schuld sind eifrige Hoteldirektoren, welche die Säle mit Spannteppichen, schrecklichen Farbanstrichen, heruntergehängten Decken, neuem Täfer überformen. Lang hat gründliche Analysen betrieben und unter den vielen Farbschichten zwei Fassungen opulenter Wandmalereien entdeckt. Welche bleibt erhalten, welche wird verdeckt – diesen Dialog haben Lang und Heiko Dobler von der Denkmalpflege geführt. «Gemeinsam haben wir entschieden, welche Variante hervorgeholt wird», erklärt Lang. Aus dem hässlichen Entlein wird ein stolzer Schwan, der nicht nur von den Patientinnen und Patienten bewundert werden darf, sondern auch öffentlich zugänglich sein wird.

Dass die Denkmalpflege als Verhindererin auftritt, erachtet Lang als uraltes, längst widerlegtes Vorurteil. Er selbst hat das in seiner langen Karriere nie erlebt. In der Denkmalpflege stellt er zudem einen interessanten Wandel fest. Waren Denkmalpfleger vor 30 Jahren mehrheitlich Kunsthistoriker, sind sie heute auch Architektinnen und Architekten. So sind Diskussionen über Konstruktionsdetails und konkrete Ausführungen möglich. «Das ist enorm wichtig, denn die Vorgaben des Energiegesetzes oder des Brandschutzes werden auch bei Baudenkmälern zusehends kompromisslos durchgesetzt», sagt Lang. Darum brauche es kluge Verbündete.

 

Im Bäderhotel «Verenahof» in Baden

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«Verenahof», Baden

Men Duri Arquint vor der Chasa von Planta in Ardez (Foto Sophie Stieger)

Men Duri Arquint: Geschichte ist immer Schichtung

Aus einem Bürgerhaus von 1642 wurde um 1750 ein Aristokratenhaus und 2006 mit dem Einzug der Fundaziun Not Vital ein Kulturhaus. Die neue Nutzung der Chasa von Planta in Ardez erforderte ein paar Eingriffe. Im Innern stammen sie vor allem von Duri Vital, aussen hat Men Duri Arquint Akzente gesetzt.

Marco Guetg, Journalist, Zürich

Schlendert man im Unterengadiner Dorf Ardez über die Ftanerstrasse Richtung Kirche, öffnet sich links bald einmal die Häuserzeile und gibt den Blick frei auf ein überhohes, weisses Haus. Das ist die Chasa von Planta, deren Wappenstein verrät: «erb. 1642 für Johann Planta v. Wildenberg, umgestaltet und erhöht 1756–1757». Erwin Poeschel hat den stattlichen Bau in seiner Reihe «Die Kunstdenkmäler des Kantons Graubünden» kunsthistorisch verewigt, im «Kunstführer durch die Schweiz» wird das Patrizierhaus für seine «vorzügliche Ausstattung aus der Bauzeit» gelobt.

2004 hat der Künstler Not Vital die Chasa von Planta gekauft und zum Domizil seiner Fundaziun erkoren. Der Hauptzweck der Stiftung besteht darin, wichtige Werke romanischer Sprache aus der Zeit zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert aufzubewahren, beginnend mit der ersten Übersetzung des Neuen Testamentes von Jachiam Bifrun aus dem Jahr 1560. Jedes Jahr im August öffnet sich das Haus und zeigt eine Ausstellung mit Werken lokaler oder internationaler Künstlerinnen und Künstler.

Vom Bürgerhaus zum Kulturhaus

Seit bald 300 Jahren strahlt die Chasa von Planta eine noble Aura aus: als Bürgerhaus zuerst, danach als Aristokratenhaus. Eine inhaltliche Zäsur brachte 2006 die neue Nutzung als Kulturhaus. Diese Neudefinition ist seit 2013 anhand dezenter Zeichen am Haus selbst lesbar. Formuliert hat sie der Architekt Men Duri Arquint. Ihm reichten ein paar wenige neue Setzungen. Auffallend ist die helle Kalktünche, die den mächtigen Baukörper ummantelt und damit seine besondere Position an dieser zentralen Lage im Dorf hervorhebt. Das verblasste Sgrafittofragment hätte Arquint durchaus gleich übertünchen oder aber vollständig wiederherstellen können. Er wählte einen Mittelweg. Die ortstypische Dekoration erscheint nur noch im Streiflicht – oder in der Sprache des Architekten: «Im richtigen Licht entdeckt man das Sgrafitto nun auf einer hinteren Ebene, wie bei einem Palimpsest.» Arquint liefert damit noch eine Ahnung dessen, was war.

Ganz verschwunden hingegen sind die zwei «Tiroler» Lauben an der Südfassade. Dort setzt nun neu ein mit weissem Beton gebundener Balkon nicht nur einen skulpturalen Akzent, sondern tritt gleichzeitig auch in einen Dialog mit der Plastizität des Steinhauses. Auffallend ist das Tor zur Carsuot. Wo einst Tiere in den Stall trotteten, ist heute der Zugang zu den Ausstellungsräumen. Weil Form wie Inhalt sich geändert haben, hat Arquint radikal darauf reagiert, das neue Tor mit Bronze beschlagen und dadurch auch den letzten ruralen Hauch verscheucht.

Mit den Innenräumen befasste sich vor allem Duri Vital. Der Bruder des Künstlers Not Vital hat sich gleich nach dem Kauf 2004 eng zusammen mit der Denkmalpflege an die Arbeit gemacht. Erst später dachte auch Men Duri Arquint mit. Bei der Innensanierung wurde entfernt, «was sich über Generationen ins Haus geschlichen hatte», sagt Arquint, Böden, Fensterrahmen und anderes mehr, immer im Bemühen «durch Reduktion zum Kern des Hauses vorzustossen». Neu eingebaut wurde, was zu den wesentlichen, heutigen Komfortansprüchen an ein Haus gehört: eine Zentralheizung, Bäder und Küchen.

In der oberen Wohnetage wird gewohnt. Artists in residence oder Vitals Assistenten, Freunde und Bekannte aus aller Welt finden in den oberen Zimmern jeweils eine temporäre Bleibe. Ab und an hat aber auch der Künstler Not Vital seine Visionen und Wünsche ins Haus gewoben. Die Decke der schlichteren Stüva im Erdgeschoss zum Beispiel hat er mit einer schwarzen Glanzfarbe streichen lassen. Dieser Akzent am Täfer ist nur ein Indiz von vielen des dialogischen Prozesses zwischen Kunst und Architektur, der bei der Restaurierung der Chasa von Planta von Anfang an wichtig war.

Energetische Optimierung

Arquints Philosophie im Umgang mit historischen Bauten manifestiert sich in einem sinnstiftenden Wortspiel: «Geschichte ist immer Schichtung.» Seine Arbeit an einem historischen Objekt versteht er somit schlicht als «eine weitere Schichtung». Die aber ist «naturgemäss zeitgenössisch». Arquints Anspruch: «Das Gestern verstehen, damit ich heute gezielt darauf reagieren kann.» Das Gestern verstehen gilt für Arquint aber auch im Umgang mit der Ökologie an einem Engadiner Haus. Thema ist die Bauphysik. Arquint greift nach einem Stift, zeichnet ein Dach, Etagen und den Keller, markiert die Abgrenzung zum Dach und zum Keller. «Das sind Klimapuffer. Wenn ich eine Wärmedämmung zu diesen Ebenen anbringe und zusätzlich die historischen Fenster optimiere, erreiche ich eine energetische Optimierung von nahezu 80 Prozent.» Nur schon dieses bauphysikalische Basiswissen kann verhindern, dass die murale Textur alter Häuser zerstört und dabei noch unnötig viel graue Energie in diese alten Gemäuer gesteckt wird. 

 

Die Chasa von Planta in Ardez (GR) (Foto Sophie Stieger)

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Planta Haus Ardez

Patrik Ziswiler Patrik Ziswiler
Patrik Ziswiler vor der Pfarrkirche in Buttisholz (Foto: Sophie Stieger)

Patrik Ziswiler: Die Grundvoraussetzungen müssen stimmen

In Buttisholz wurde die Pfarrkirche in den Zustand um 1914 zurückversetzt. Zusammen mit dem Primarschulhaus erinnert der Sakralbau in der Luzerner Landgemeinde an die Blütezeit des Heimatstils. Zwischen den beiden Restaurierungen des Architekten Patrik Ziswiler liegen 20 Jahre, in denen er sich nicht nur für sein Büro, sondern auch für einen qualifizierten Umgang mit dem ISOS-Ortsbild einsetzte.

Gerold Kunz, Architekt und kantonaler Denkmalpfleger Nidwalden

Buttisholz ist ein Ort, an dem sich leben und arbeiten lässt. Das nationale ISOS-Ortsbild zählt zu den schönsten ländlichen Ensembles im Luzerner Mittelland. Seit den frühen 1990er-Jahren wirken Fachleute bei Entwicklungsfragen mit. Zu ihnen zählt der Architekt Patrik Ziswiler, der wenige Jahre nach dem Studium an seinen Geburtsort zurückkehrte und hier sein Wirkungsfeld fand.

Damals war dies nicht selbstverständlich, und bei Ziswilers Entscheid spielten Zufälle mit. Die Korporation übertrug dem jungen Architekten den Umbau der alten Kanzlei, und der Gemeindeschreiber bot ihm die Mitarbeit in der Ortsplanungskommission an, was zur Bürogründung führte. Zehn Jahre später qualifizierte sich Ziswiler mit der Restaurierung des Dorfschulhauses als Denkmalpflege-Architekt. Es folgten, mittlerweile unter dem Namen des von ihm mitbegründeten Büros A6 Architekten, Restaurierungen beim Schloss Buttisholz, beim Meilischulhaus in Grosswangen, bei der Kapelle St. Ottilien, beim Rathaus Sempach (in Zusammenarbeit mit dem Autor) und beim Am-Rhyn-Haus in Luzern.

Kontinuität in Ortsbildfragen

Sein jüngstes Werk, die Restaurierung der Pfarrkirche St. Verena, spannt den Bogen zu den Anfängen seiner Tätigkeit. Das Dorfschulhaus von 1910 und die um 1914 nach Plänen des Kirchbauspezialisten Adolf Gaudy erweiterte Kirche bilden heute ein Heimatstilensemble erster Güte und zeugen von der Kontinuität in Buttisholz im Umgang mit Ortsbildfragen. Die Rückbesinnung auf Gaudys Originalfassung bedingte eine sorgfältige Auseinandersetzung mit der Baugeschichte und Untersuchungen am Bau.

Ziswiler betont, dass seine Entwicklung von der Zusammenarbeit mit Restauratoren und spezialisierten Handwerkern geprägt ist. Ein Nachdiplom in Denkmalpflege an der ETH Zürich bei Georg Mörsch ergänzte sein praktisches Wissen. Doch der Austausch am konkreten Projekt bleibt für ihn zentral.

Die Auseinandersetzung mit Schutzobjekten, das Studium der Konstruktionen und der Zeitspuren am Material haben seine Haltung als Architekt geprägt. Lernen am Baudenkmal heisst reparieren statt ersetzen. Erste Holzbauten hat Ziswiler schon in den 1990er-Jahren gebaut. Auch bei Neubauten achtet der Architekt auf eine nachhaltige Materialwahl. Das Wissen vom Umbauen prägt die Gestaltung seiner Neubauten. Zurückhaltung im Ausdruck zieht Ziswiler einer modischen Architektursprache vor.

Ganzheitliches Berufsverständnis

Ratschläge will Ziswiler nicht erteilen. Es gebe keine Rezepte. Im Lauf der Zeit hat sich seine Praxis verändert. Student bei Mario Campi, einem Protagonisten einer moderaten Postmoderne, sucht Ziswiler im Berufsalltag nach einer eigenen Architektursprache, die von der ländlichen Baukultur, aber auch von der Moderne geprägt wird. Doch sieht er in seinem ganzheitlichen Berufsverständnis den Schlüssel für seinen Erfolg. Die Arbeit im Büro, die Präsenz auf der Baustelle, die Mitarbeit in Fachgremien, der Austausch mit Fachleuten – das sind die Wirkungsfelder des Architekten, der auf die gründliche Vorbereitung des Bauvorhabens schwört, wie er es schon im Praktikum beim Luzerner Damian Widmer gelernt hatte. Er war bei ihm, auch er ein Denkmalpflege-Architekt, mit Massaufnahmen beschäftigt – Handarbeit, die ein genaues Hinschauen erforderte.

Mitreden verlange nach mehr als nur nach Spezialistentum. Nur wer den Bauprozess kenne, versteht die Zusammenhänge. In der Bauberatung, fällt Ziswiler auf, habe er es in der Regel mit alltäglichen Bauprojekten zu tun. Ihm gehe es darum, Störungen zu vermeiden, indem er an die Volumetrie, die Setzung des Gebäudes, die Qualität der Aussenräume hohe Ansprüche stellt. Wenn die Grundvoraussetzungen stimmen, ist die Qualität der Architektur zweitrangig. Hier hält er es mit Luigi Snozzi und dem Beispiel Monte Carasso. Mit ortsbaulichen Fragen werde im Tessin mustergültig umgegangen. Ein Vorbild für Buttisholz und für den Architekten Patrik Ziswiler. Dem Ort sieht man an, dass sich beide früh gefunden haben!

 

Die Pfarrkirche in Buttisholz (LU) (Foto Sophie Stieger)

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