Von Seraina Kobler und Franziska Engelhardt:
Diese Artikel wurden publiziert in der Ausgabe 3/2023 unserer Zeitschrift Heimatschutz/Patrimoine und in der Broschüre zum Schulthess Gartenpreis 2023
Im Wechselspiel zwischen historischem Appenzellerhaus und dem umliegenden Vogelschutzreservat schafft die Puppenspielerin Claudine Kopp eine ganz eigene Gartenzone, Heimat für Wesen aller Art.
«Ziehen Sie sich warm an, wir sind auf fast 1000 Metern», sagt Claudine Kopp schon am Telefon. Und tatsächlich scheint die Vegetation zwischen den grasgrünen Appenzeller Hügeln, umhüllt von Nebelschwaden, an diesem Aprilmorgen erst langsam zu erwachen. Erst auf den zweiten Blick zeigt sich auf den Magerwiesen das, was sehr bald zu ausgewachsenen Knabenkräutern wird, zu Prachtnelken und Wollgräsern. «Das hier steht alles unter Naturschutz», sagt Claudine Kopp und zeigt auf die Flächen rund um das historische Appenzellerhaus, das schon so alt ist, dass es leicht anders ausgerichtet ist als seine Nachbarn. Und wenn sie in ihrem breiten Appenzellerdialekt «Wiese» sagt, dann klingt das ein bisschen wie «Wesen». Und von denen gibt es hier viele. Denn Schutzreservat, das bedeutet auch, dass nur einmal pro Jahr geschnitten wird, ein Geschenk an die Bodenbrüter, an die Wiesel, Feldhasen, Füchse und Schmetterlinge, die alle auch von der einheimischen Bodenmischung profitieren.
Es sei keine Seltenheit, dass ein paar Rehe vorbeispazieren, wenn sie morgens beim Kaffee sitze, sagt Heilpädagogin Kopp, die neben ihrem Beruf auch als Puppenspielerin unterwegs ist. Und ein wenig märchenhaft mutet das Holzhaus am Waldrand mit den glitzernden Kugeln im Garten und den vielen Vögeln auch an. Vor drei Jahren konnte sie es von einer Freundin, ebenfalls eine Vogelliebhaberin, übernehmen. Seither kommt jedes Jahr etwas mehr dazu, seit sie mit der Renaturierung des Gartens begonnen hat, der noch einige Elemente aus den 1970er-Jahren enthält, nicht gerade die Hochzeit des biologischen Gärtnerns.
«Ich versuche trotzdem, zu integrieren, was da ist», sagt Kopp. Das bedeutete: Humus abtragen, den Boden pflegen, Sand einarbeiten und eine eigene Fruchtfolge für die Beete einführen. Vieles mache sie nach Gefühl, die Samen kommen von ProSpecieRara, denn: «Ein Garten muss auch zum Haus passen.» Und wie im Haus arbeitet sie auch draussen daran, möglichst viel in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen, ohne allzu stark einzugreifen. So, wie sie in der Stube des Hauses die Holztäfelung wieder wie ursprünglich mit Farbe versehen, den alten Kachelofen wieder in Betrieb genommen oder die Küche im gleichen Holz verkleidet hat, mit Beschlägen, die in die Zeit des Hauses passen.
Im Garten ist das trockene Sirren von schlagenden Flügeln zu hören. Kohlmeise, Weidenmeise, Buchfink und Star: Claudine Kopp kennt sie alle. Aber es gibt auch Grenzen, so hat sie die Beete nach oben hin mit einer dichten Hecke umschlossen, damit die Rehe ihr nicht den ganzen Rosenkohl und die Salate stibitzen. Dafür gibt es am anderen Rand einen Steinhaufen: Rückzugsort für Eidechsen und anderes Getier. Rundherum leuchten Lauschaer Kugeln wie überdimensionaler Weihnachtsschmuck. «Früher glaubten die Menschen, sie könnten damit das Böse abwenden», sagt Kopp. Und wer die alten Sagen und Geschichten aus der Gegend kennt, die sie auch in ihrem Puppentheater immer wieder aufnimmt, könnte schon für einen Moment denken, dass das keine schlechte Idee ist. Doch dann schiebt sich die Sonne zwischen den Wolken hervor, und es glitzert in den Beeten, im Innern der Frauenmäntelchen, wo sich funkelnder Morgentau sammelt.
Die Genossenschaft Neubühl am Rande der Stadt Zürich offenbart ein Fenster in die Vergangenheit: Die Gärten und der Aussenraum haben heute noch bewusst die Struktur aus der Gründungszeit der 1930er-Jahre. Dies ist nur möglich dank verbindlicher Vorgaben – und regelmässiger Rundgänge durch die Arbeitsgruppe Landschaft, der Karl Stammnitz vorsitzt.
Die abgetreppten Reihenhäuschen am Hügel von Zürich Wollishofen sehen eigentümlich konform aus, etwas aus der Zeit gefallen. Die Sonne scheint grell, Magnolien blühen im bald hundertjährigen Neubühl am Rande von Zürich. Der Landschaftsarchitekt Karl Stammnitz bittet in sein Reihenhaus. Es ist eines von drei bewohnten Museumshäusern in der Werkbundsiedlung Neubühl. Sie wurden in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege restauriert, um sie im Originalzustand des Erbauungsjahres 1930 zu erhalten.
«Vor uns gab es über Jahrzehnte kaum Mieterwechsel», sagt Stammnitz und zeigt bewundernd auf den Boden: originales Linoleum. Er führt durch die gekachelte Küche: tiefer Waschtrog, Patent-Ochsner-Abfalleimer, spartanische Einrichtung. Hier wohnt er auf 80 Quadratmetern mit Kindern und seiner Frau, die ebenfalls Architektin ist.
«Wir kannten die Siedlung bereits aus dem Studium», und nach vielen Jahren in Zürich und neun Jahren auf der Warteliste der Siedlung wurde das Häuschen 2016 ihr Zuhause.
Die Freiräume im Neubühl hat der Schweizer Landschaftsarchitekt Gustav Ammann geplant, eine Figur, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Gartenarchitektur in der Schweiz prägte. Er entwarf das Konzept eines «natürlichen nutzungsoffenen Wohngartens». Das heisst: definierte Strukturen. Die Grösse der Rasenfläche, die Verlegung der Bodenplatten. Keine Zäune, sondern Sträucher trennen Sitzplätze und Gärten. Erhaltung der freien Durchsicht durch tiefe Bepflanzung.
Stammnitz tritt in den Garten, der genauso breit ist wie das Häuschen. «Die Rabatten sind trennend, aber auch verbindend, weil sie überblickbar sind. Das ist ein zentrales Konzept: sich nicht einigeln.» Der Rasenstreifen ist frisch gemäht, das Krautige in den Rabatten ist erst am Erwachen, Osterglocken blühen. «Ich habe nicht den Anspruch, dass mein Garten der Schönste ist. Sondern, dass er sich selbstverständlich in das Ganze einfügt.»
Die Gartenrichtlinien haben zum Ziel, die denkmalgeschützte Anlage zu erhalten und unter Einbezug von ökologischen Aspekten weiterzuentwickeln. Wer hier einzieht, unterschreibt diese Vorgaben. Das bedeutet auch, mit dem Zielkonflikt klarzukommen, der sich zwischen individuellem Gestaltungswillen und dem grossen Ganzen auftun kann.
Die Geschäftsstelle und die Arbeitsgruppe Landschaft unterstützen bei der Umsetzung. Und somit auch Stammnitz, der im Vorsitz mit dabei ist. «Die Gartenpolizei, genau», ergänzt er und lacht. «Der Begriff fällt auch tatsächlich. Der Schutzvertrag verpflichtet uns zu einem jährlichen Rundgang durch alle Gärten, um zu schauen, ob die Richtlinien eingehalten sind.»
Das soll weder beängstigen noch für alle Beteiligten ein unangenehmer Akt sein. «Lediglich wenn etwas den Richtlinien komplett zuwiderläuft, wie etwa bauliche Eingriffe, dann sagen wir etwas.» Die Arbeitsgruppe ist unterstützend tätig. Die richtige Gartenpflege muss letztlich geübt sein. Mieterwechsel bieten Gelegenheit, im Sinne der Originalstruktur bei Bedarf stärker ordnend einzugreifen. Und für Sträucher und Gehölz sei der Neubühlgärtner zuständig, der Vollzeit angestellt ist. «Die Kontrolle mag schräg klingen, aber wenn es die Richtlinien und deren regelmässige Überprüfung nicht gäbe, wäre Ammanns Konzept heute kaum mehr erlebbar», ist Stammnitz überzeugt.
Ein ebenso wichtiger Pfeiler des Konzepts ist das Gehölz. Bäume, die den Strassenraum prägen. Vorwiegend Birken und Robinien. Viele noch aus der Ursprungszeit. Wer einen Baum im eigenen Garten pflanzen wolle, müsse einen Antrag stellen.
Leider mache dem Gehölz die Klimaerwärmung zu schaffen. «Das stellt uns vor grösste Herausforderungen,» sagt Karl Stammnitz. Auf dem Weg zurück zum Haus schweift sein Blick nochmals über die Gärten, in denen die ursprünglich angelegte Struktur von 1930 tatsächlich noch überall deutlich erkennbar ist. Dann sagt er demütig: «Wir sind auf Zeit hier, alles ist geliehen. Das muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen.»
Das historische Landgut nahe Genf aus dem 18. Jahrhundert zeigt, wie Altbewährtes auf subtile und zeitgenössische Weise neu interpretiert werden kann. Denn auf La Gara gehen Vergnügen und Nutzen ebenso zusammen wie das Wilde und die Kunst.
Der Himmel über der Hochebene, nordöstlich von Genf, ist so weit, wie er das nur an den Rändern des Landes sein kann. Es riecht nach gelben Rapsblüten, nach Stroh und frischer Farbe, und die Schilder, die zu den Wagen mit den heulenden Motoren auf der Landstrasse gehören, tragen mehrheitlich schon französische Kennzeichen.
Es gibt verschiedene Wege, um auf das Anwesen von Familie Best zu gelangen, aber der Schönste ist wohl über die direkt auf das Haupthaus zulaufende Allee. «Als wir hier vor über zwanzig Jahren ankamen, war alles grau in grau», sagt Verena Best-Mast, Hausherrin und selbst Architektin, die gerade die Arbeiten am ehemaligen Landwirtschaftshaus leitet, das heute eine Kellerei beheimatet.
Davor erstreckt sich ein geschickt angelegter Platz, zwischen Herrenhaus und Scheune, leicht erhöht. Im Schatten blühender Rosskastanien, zu deren Füssen krautiger Thymian wächst, Frauenmantel und Zitronenmelisse. Eine langeckige Betonbank verbindet nicht nur die Menschen, die auf ihnen sitzen, sondern auch die Gebäude, währenddessen die Aussenwelt, ebenso wie die Autos, hinter dichten Hecken verschwinden.
Je länger die Architektin erzählt, umso mehr wird das eigene Vokabular ersichtlich, das zum historischen Anwesen gehört wie die rot leuchtenden Ziegeldächer. Früher diente der Vorplatz einzig dem «Utile», also dem Nutzen, vierzig Rinder gab es auf dem Hof. Und ein bisschen auch dem «Plaisir», der eigentlich einen eigenen Park auf der anderen Seite des Haupthauses hat. Aber die Herrschaften aus den Städten, die im 18. Jahrhundert die Sommermonate auf La Gara verbrachten, genossen es in rousseauscher Manier, dem ländlichen Treiben und den einfachen Arbeiten beizuwohnen.
Der Cockerspaniel zieht freudig an der Leine, beim Rundgang durch das Gelände. Geschwungene Wege ziehen sich durch den Obstgarten, wo Mirabellen blühen, alte Apfelsorten, Mispeln, Birnbäume und Kirschen. «Im Juni heiratet unsere Tochter, darum haben wir Wildblumen an den äusseren Rand der ungemähten Wiesen gesät», erklärt Madame Best. Für einen Moment tauchen Festzelte vor dem inneren Auge auf, gerades Licht und klirrende Gläser. Eine Anlage wie diese ist bei ihnen durchaus eine Familienangelegenheit, aber ohne die Vision und Unterstützung etwa des Landschaftsarchitekten Erik Dhont hätte sie wohl kaum ihre Form gefunden. Die meisten Obstbäume könnten auch schon vor dreihundert Jahren hier gestanden haben. Manche der schon fast vergessenen Sorten wurden von einem eigens beauftragten Botaniker in Südfrankreich aufgespürt.
«Wenn wir hier sind, machen mein Mann und ich jeden Abend eine Runde durch die Gärten, das verbindet», sagt Verena Best-Mast und bückt sich, um eine Tulpe aufzuheben, die der Cockerspaniel umgeknickt hat. «Man steht in Kontakt mit den Pflanzen. Und das Schöne: Es gibt immer eine direkte Reaktion.» Im Gewächshaus gibt es noch frische Salate, die über den Winter retten, da sich die meisten Familienmitglieder vegetarisch ernähren. Etwas weiter spriesst grüner Spargel aus der Erde, bald wird es Artischocken geben und Fenchel. Johannisbeeren, Himbeeren, Brombeeren.
Und vom einen Vergnügen geht es über grüne Wege weiter zum «Plaisir». Dem Teil der Anlage, die an die Rückseite des Herrenhauses anschliesst. Auch hier liegt die Idee der Räume, des Sichtbaren und des Versteckten zugrunde. Schon von Weitem zu erkennen an den diamantförmigen Eibenhecken, die auf der Wiese verstreut sind. Und bevor man sich fragt, wo das weisse Kaninchen aus Lewis Carolls «Alice im Wunderland» im Bau verschwunden ist, tut sich eine Wasserlandschaft am Rande des Grundstückes auf. «Sie heisst Ah-Ah», erklärt Verena Best-Mast. «Das kommt daher, dass sie tiefer liegt als der Rasen und die Leute früher erstaunte Laute von sich gaben, wenn sie plötzlich vor dem Kanal standen.
Eigentlich müsste es noch viel mehr solcher Ausdrücke geben, für das Labyrinth des Künstlers Marcus Raetz, mit seinem «Weg der Giganten» und den «dead ends», die etwas weiter locken, für das Bänklein mit Blick auf schneebedeckte Alpenspitzen. Und nicht zuletzt für die grosse Sorgfalt, mit der die Familie Best der zuvor über Jahrzehnte leer gestandenen Domäne zu neuem Glanz verholfen hat.