Baukultur

Zwischen dem Wasser und uns

Das einzigartige Landschaftsfestival Lausanne Jardins präsentiert erneut ephemere landschaftliche Interventionen im öffentlichen Raum. Nach der letzten Ausgabe vor fünf Jahren zum Thema Erde steht in diesem Jahr das Wasser im Mittelpunkt. Die Installationen in den Wassereinzugsgebieten und entlang des Seeufers erklären und hinterfragen unseren Umgang mit dem Wasser, enthüllen unsichtbare Wasser­wege und inspirieren zu einem Umdenken.

Der Ausgangspunkt der Projekte, die Ergebnisse eines international offenen Wettbewerbs sind, bildet die Landschaft. Dabei sind zwei historische Paradigmenwechsel bezüglich des Verhältnisses der Stadt Lausanne zum Wasser zentral. Zum einen wurden die prägenden Flüsse, welche die charakteristische Stadtmorphologie ausmachen, aufgrund untragbarer Verschmutzung zwischen dem späten 19. Jahrhundert und der Mitte des 20. Jahrhunderts kanalisiert und zum grössten Teil in den Untergrund verlegt. Die Wasserwege sind in der Topologie noch ablesbar, das Wasser jedoch nur noch anekdotisch im Stadtbild vertreten. Zum anderen hat sich der See von einer Gefahr, von der man sich bei der Stadtgründung abwandte, zu einem unverzichtbaren, viel genutzten Naherholungsgebiet und zu einer Frischeoase für die Bevölkerung gewandelt. Eine Entwicklung, zu der die Expo 64 vor 60 Jahren wesentlich beigetragen hat.

Unterirdische Wassernetzwerke

Die aus der Kanalisierung und Asphaltierung der Strassen und Plätze resultierende Vielzahl an versiegelten Flächen führt bei starken Regenfällen zur Überbelastung des Kanalisationssystems und lässt Überschwemmungen und folglich die Verschmutzung des Sees befürchten. Durch den Beitrag «Jardin de circulation, jardin de pluie» wird das Prinzip der Schwammstadt einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Im Verkehrsgarten, der im Rahmen der Expo 64 in der Vallée de la Jeunesse realisiert wurde, wurden versiegelte Flächen aufgebrochen, mineralische Oberflächen begrünt und Wasserrückhaltebecken angelegt. Diese einfachen und relativ kostengünstigen Interventionen lassen das Wasser wieder ins Grundwasser versickern, beugen so Überschwemmungen vor und wirken zudem dem Effekt der Wärmeinsel entgegen.

Beiträge wie «Flon Bleu» oder «Surface» enthüllen das unterirdisch geführte Wasser. Sie veranschaulichen zugleich den Wunsch, die Wasserwege in der Stadt wieder sichtbar und erlebbar zu machen. Anhand von Karten, Filmen, Bodenbeschriftungen und Installationen entlang der Kanalisation bis zu den Ausflüssen in den See veranschaulicht «Recto-Versant» die Dichte der unterirdischen Wassernetzwerke. Zudem sensibilisiert es dafür, was nach wie vor ungefiltert – von Abfällen bis Mikropartikeln – in den See gespült wird.

Die Abwasserreinigungsanlagen haben die Verschmutzung der Gewässer sicherlich massiv reduziert. Beim Betrachten der Brunnenskulptur «Les Beaux Dimanches» kommen jedoch Zweifel an der Wasserqualität auf. Auf dem Ausflussrohr der ARA Vidy positioniert, stellt sie den menschengemachten Wasserkreislauf einem kranken menschlichen Metabolismus gleich. Das benachbarte Schulprojekt «Traite-moi bien!» visualisiert die Verschmutzungen unseres Wassers und deren Reinigung anhand von Toilettenschüsseln. Hat man erst einmal die verschiedenen Verschmutzungsarten und Aufbereitungsschritte erfasst, veranschaulicht ein überdimensionierter Strohhalm in der Kloschüssel, dass wir die kostbare und aufwendig aufbereitete Ressource gleich wieder wegspülen. Der «Jardin des délices métalliques», der aufgrund administrativer Hürden nicht umgesetzt werden konnte, schlug einen kreisförmigen schwimmenden Garten aus biologisch abbaubaren Materialien vor. Er sollte die Ausflüsse aus dem Fluss Chamberonne filtern und mittels phytoreinigenden Pflanzen insbesondere Schwermetalle aus dem Wasser filtern.

Lehrpfad, Erlebnisparcours und territoriales Kunstwerk

Der «Jardin d’Aisance» von Tribu Architecture provoziert ebenfalls durch seinen direkten Bezug zwischen Ausscheidungen und Nahrungsmitteln. Es macht nicht nur auf den unverhältnismässigen Wasserverbrauch der Toilettenspülung aufmerksam, sondern zeigt auch die Möglichkeit eines potenziellen Verzichts darauf auf. Das Projekt schlägt zudem vor, den Urin als Düngemittel wiederzuverwenden. In einem 100 Quadratmeter grossen Garten sammelt, filtert und speichert ein Pissoir den Urin der Besuchenden. Der umliegende Gemüsegarten wird mit diesem «flüssigen Gold» gedüngt. Der Umfang des Gartens entspricht in seiner Grösse dem Bedarf für die Ernährung einer Person während eines Jahres, und die Düngung der Menge an Urin eines Menschen während des gleichen Zeitraums. Tribu Architecture hatten bereits versucht, dieses Kreislaufsystem in Wohnbauten umzusetzen, doch noch scheint die Zeit nicht reif, diesen unmittelbaren Zusammenhang von Nahrungsmittelproduktion und der Verwertung unserer Ausscheidungen im Alltag sichtbar zu machen.

Gleich einem städtischen Labor präsentiert LausanneJardins24 kleinmassstäbliche landschaftliche Innovationen, die teilweise Skalierungspotenzial haben. Es ist Lehrpfad, Erlebnisparcours und territoriales Kunstwerk zugleich. Die Interventionen berühren sowohl rational als auch mit allen Sinnen und bilden dadurch einen breiten Reichtum an Landschaftserfahrungen ab. Die Ausstellung dauert bis Anfang Oktober und ist absolut einen Besuch wert – wenn nicht gar mehrere!

Myriam Perret, Patrimoine suisse

Zeitschrift

Dieser Artikel ist am 27. August 2024 in der Zeitschrift Heimatschutz/Patrimoine 3/2024 «Abwasserreinigung im Umbau» erschienen.

Clou rouge

Le Clou rouge de Patrimoine suisse s’arrêtera à Lausanne: quatre visites de Lausanne Jardins et l’une du Théâtre de Vidy, récemment rénové, sont organisées le samedi 31 août, avec un vernissage à 11h30. Visites gratuites, sur inscription avant le 27 août 2024. (in französischer Sprache)