Die Schweiz hat geografisch betrachtet eine grosse Verantwortung im Abwassermanagement, weil sie wichtige europäische Flussläufe ganz zu Beginn mitbeeinflusst. Im Mittelalter waren die Lebensbedingungen vor allem in den Städten katastrophal. Der erste Schritt in der Abwasserbehandlung war die geordnete Ableitung des Abwassers in Kanälen. Die Geschichte der Abwasserreinigung beginnt mit dem Gewässerschutz und der Volkshygiene sowie mit dem Bau der ersten mechanisch-biologischen Kläranlage 1917 in St. Gallen. 1953 ergänzte der Gewässerschutzartikel die Bundesverfassung, und ab Mitte des 20. Jahrhunderts wurde auf Gemeindeebene gezieltes Abwassermanagement betrieben, damit das von Haushalten verschmutzte Wasser nicht mehr unbehandelt in die Gewässer gelangte. Es entstanden Abwasserreinigungsanlagen (ARA) für ein Einzugsgebiet von 500 bis 5000 Einwohner/innen meist an der geografisch tiefsten Stelle einer Gemeinde. Wasser fliesst immer nach unten; ein Satz, der während dieser Recherche oft gesagt wird. Zudem befinden sich die ARA in unmittelbarer Nähe eines Gewässers, in das das gereinigte Wasser eingeleitet wird. So entstanden im letzten halben Jahrhundert um die 700 Anlagen über die ganze Schweiz verteilt. Heute sind 97 Prozent der Haushalte an eine Kläranlage angeschlossen.
Diese Kleinteiligkeit im Abwassermanagement hat zum einen mit der föderalistischen Schweiz und ihrer Verwaltung zu tun, zum anderen damit, dass es sehr aufwendig gewesen wäre, Leitungen über lange Strecken unter der Erde zu verbauen. Doch vor rund 25 Jahren setzte sich die Erkenntnis durch, dass grössere Anlagen mit einer Kapazität für das Abwasser von bis zu 100 000 Personen wirtschaftlicher sind, was zu einem Zusammenschluss vieler ARA führte, sodass einige einer neuen Bestimmung zugeführt werden konnten, wie zum Beispiel in Aproz (VS), wo ein ehemaliges Klärbecken zum Spielplatz umgebaut worden ist. Aber auch die vierte Klärstufe zur Elimination von Mikroverunreinigungen (EMV) fördert den Zusammenschluss der Anlagen.
Die moderne Wasserwirtschaft sorgte für hygienische Bedingungen und sauberes Trinkwasser, aber auch für den Schutz der natürlichen Gewässer mit ihrer Flora und Fauna. Viele Stoffe wie Arzneimittelrückstände, Hormone, Biozide und Kosmetika, die biologisch nicht abbaubar sind, gelangen jedoch in Oberflächengewässer und ins Grundwasser. Dort reichern sie sich aufgrund ihrer Persistenz trotz geringer Konzentrationen an. Abhilfe schafft das chemisch-physikalische Verfahren mit Ozon und Aktivkohle der EMV, das diese heiklen Substanzen herausfiltert.
Das Gewässerschutzgesetz verlangt seit zehn Jahren, dass in der Schweiz die grossen ARA und diejenigen, die in empfindliche Gewässer einleiten, bis 2040 über eine solche vierte Klärstufe verfügen müssen. Eine zweckgebundene Finanzierung soll Anreiz für den Ausbau der Anlage mit dieser Reinigungsstufe schaffen. Diese Forderung führt zu einer Strukturbereinigung, sodass nur noch rund 600 Anlagen in Betrieb sind, weil sich eine teure EMV in Betrieb und Erstellung für eine kleine Anlage nicht rechnet und man bei einem Zusammenschluss Personal sowie Ausbaukosten spart.
Der Abwasserverband Altenrhein AVA verfügt seit 2019 als zehnte Anlage der Schweiz über diese vierte Reinigungsstufe und reinigt das Abwasser von 18 Gemeinden im Rheintal und im Appenzellerland, erst kürzlich wurde Rehetobel angeschlossen. Sie befindet sich in einer Naturschutzzone am Alten Rhein, am tiefsten (!) Punkt des Einzugsgebiets. Als Geschäftsführer war es Christoph Egli nicht nur ein Anliegen, seine Anlage zeitgemäss aufzurüsten, er stellt auch einen ästhetischen Anspruch an die Qualität seiner Infrastrukturbauten, weshalb Lukas Imhof Architektur als gestalterischer Berater für die neuen Anlagen auf dem Gebiet hinzugezogen wurde. Die Anlage wächst stetig, und nun korrespondieren Dachabschlüsse in der Höhe, Details werden aus dem Bestand weiterentwickelt und das Netz aus Gassen und Plätze in der kleinen Reinigungsstadt wird zusammen mit der Architektur städtebaulich betrachtet. Bauten, die für eine kurze Ewigkeit stehen, sollten auch ansprechend sein, ist Egli überzeugt. Erwartungen an die Gestaltung einer solchen Anlage änderten sich ausserdem, weil sich der Siedlungsraum ausdehne und die Bevölkerung näher zum Abwasser komme. In Altenrhein herrscht durch den Radweg um den Bodensee auch eine hohe Frequenz an Touristen, man sieht die Anlage. Nachhaltige Materialien, mehr Holz, weniger Beton, die für die neuen Bauten gewählt werden, zeigen ausserdem den Willen, die Gesamtanlage nachhaltig zu betreiben.
Nachhaltigkeit beginnt also nicht nur beim Wasser, sondern auch beim Bau. So steht die neue Cosubstrat-Anlage, die organische Abfälle zur Biogasherstellung nutzt, auf dem Fundament eines nicht mehr verwendeten Havariebeckens. In Altenrhein steht die Kreislaufwirtschaft an vorderster Stelle, aus dem Biogas werden mit einem Blockheizkraftwerk Strom und Wärme erzeugt. Der Strom wird direkt auf der Anlage genutzt, während die Überschusswärme ins Fernwärmenetz gespeist wird.
Zentralisierung Aufgegebene Kleinkläranlagen werden nicht immer zu Spielplätzen oder Grillstellen umgenutzt, sondern meist als Regenrückhaltebecken weiterverwendet. Die nachweislich schlechte Wasserqualität unterhalb der Abwasserreinigungsanlagen infolge ungenügender Verdünnung spricht eigentlich für eine Zentralisierung der Anlagen. Ein zweites Argument: die hohen Kosten, die eine kleine Anlage verursacht.
Die Gegnerschaft der Zentralisierung begründet ihre Forderungen mit der verminderten Wasserführung: Wenn den Kleinstgewässern weniger Wasser zugefügt wird, trocknen sie häufiger aus. Die Frage nach der Wasserqualität bleibt dabei aussen vor, sagt Pascal Hubmann, Dienststellenleiter Abwasser und Deponien im Amt für industrielle Betriebe des Kantons Basel-Landschaft. Zum Teil sei deshalb auch das Wasser zum Baden in Flüssen nicht genügend sauber, also spreche der Gewässerschutz ganz klar gegen kleine Anlagen. Dass die Bäche weniger Wasser mit sich führen, sei aber nicht wegzudiskutieren. Schliesslich ist und bleibt das Element Wasser die grosse globale Herausforderung.
Deshalb geht das Wasserforschungsinstitut der ETH, die Eawag, noch einen Schritt weiter und plädiert für eine kreislauffähige Wasserinfrastruktur mit haus- oder siedlungseigenen modularen Kläranlagen. Dem verschmutzten Wasser sauberes beizumischen, um es zur Kläranlage zu transportieren, sei ineffizient und verschwenderisch, so der Ansatz. Ausserdem gingen wichtige Nährstoffe (dieselben, die in den oben genannten Kleingewässern zu viel sind) verloren, wenn sie nicht wie in Altenrhein zurückgewonnen werden. Doch unser Abwassersystem mitsamt der rund 700 Anlagen aus Stahlbeton und den Wasserleitungen tief im Boden ist bereits vorhanden, was würde es bedeuten, dieses aufzugeben?
Jenny Keller, Schweizer Heimatschutz
Goldener Schemel
Der Abwasserverband Altenrhein AVA erhielt 2023 für die sorgfältige Erweiterung der Kläranlage im sensiblen Ufergebiet des Bodensees den «Goldenen Schemel», eine Auszeichnung für besondere baukulturelle Leistungen des Heimatschutzes St. Gallen / Appenzell Innerrhoden.