Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 1/2018 unserer Zeitschrift Heimatschutz/Patrimoine publiziert. Text: Michèle Bless und Peter Egli, Schweizer Heimatschutz
Das europäische Kulturerbejahr 2018 steht unter dem Motto «Sharing Heritage». Es will das Bewusstsein für das reichhaltige kulturelle Erbe fördern, zu dessen Bewahrung beitragen und so die Lust und das Interesse an der gesellschaftlichen Teilhabe wecken. In der Schweiz wird es unter dem Titel #Kulturerbe2018 – Schau hin! umgesetzt. Ausgangspunkt der nationalen Kampagne ist die Bedeutung des Kulturerbes für den Einzelnen und für die Gesellschaft sowie die positive Wirkung, die es in vielen Bereichen entfaltet. Die Lancierung der neuen Roten Liste ist eines der Hauptprojekte des Schweizer Heimatschutzes im Kulturerbejahr 2018 und nimmt sowohl das nationale wie auch das europäische Motto auf: Hinschauen und teilhaben!
Die Rote Liste ist in erster Linie Ausgangspunkt und Sammelbecken für den Diskurs und die Aktivitäten, die sich, wie heute üblich, meist in den Sozialen Medien abspielen. Der Schweizer Heimatschutz hat deshalb in den letzten Monaten seine Präsenz auf Facebook und Twitter auf- und ausgebaut und dadurch das Fundament für die neue Austauschplattform gelegt.
Im März 2003 lancierte der Schweizer Heimatschutz die Rote Liste gefährdeter Bauten mit dem Ziel, den dringenden Handlungsbedarf bei der Pflege und dem Erhalt von Baudenkmälern aufzuzeigen. Über den Lauf der Jahre konnten von rund 170 in der Roten Liste aufgeführten Gebäuden deren 60 gerettet werden. Rund 40 der Gebäude wurden hingegen abgebrochen.
Die Rote Liste des Schweizer Heimatschutzes wurde zum festen Begriff und zeigte in verschiedenen Bereichen Wirkung. Sie lenkte die Aufmerksamkeit auf aktuelle Fälle und diente als Multiplikator wichtiger Aufrufe und Botschaften. Kampagnen in Zürich zur Rettung des Kongresshauses (ein Erfolg) oder des Güterbahnhofs (eine Niederlage) oder auch zum gefährdeten Kino Plaza in Genf (immer noch aktuell) konnten auf diese Weise unterstützt und das Engagement des Heimatschutzes aufgezeigt werden. Verschiedene Gebäude von regionaler Bedeutung – meist lokale Streitfälle – brachten es dank der «nationalen» Roten Liste in die schweizweiten Medien, wie der illegale Abriss des Haus Demont in Vella GR im November 2003 oder der erfolgreiche Kampf zur Rettung des Hochperrons der Rigibahn beim Bahnhof Arth-Goldau SZ.
Zahlreiche Gebäude fanden durch die Rote Liste neue Besitzer. Über einige dieser Fälle wurde in unserer Zeitschrift berichtet, zum Beispiel über das Schloss Thayngen SH (Nr. 2/2007) oder ein Doppelwohnhaus in Riom-Parsonz GR (Nr. 1/2010).
Die Übersicht über eine Vielzahl gefährdeter Gebäude in der ganzen Schweiz wurde oft als Informationsquelle oder Ideengeberin genutzt – zum Beispiel auch von Studierenden für Diplomarbeiten oder von Filmemachern und Fotografinnen für Drehorte oder Shootings. Ein spezielles Interesse galt dem seit Jahren leerstehende Sanatorium in Piotta TI, das immer wieder für neue Inszenierungen aufgesucht wurde und wird. Die von der Roten Liste inspirierten Arbeiten, die über die Jahre entstanden sind, trugen die Botschaft, dass alte Gebäude vielfältiges und inspirierendes Kulturgut sind, weit über die baudenkmalaffinen Kreise hinaus.
Dank der Roten Liste wurden auch verschiedene Projekte des Schweizer Heimatschutzes ausgelöst. So fand 2005 das 100-Jahr-Jubiläum in einem Objekt der Roten Liste statt: in der mittlerweile geretteten Schuhfabrik Hug in Dulliken SO. Auch verschiedene Objekte der Heimatschutzstiftung Ferien im Baudenkmal waren ursprünglich in der Roten Liste verzeichnet, zum Beispiel das Türalihus in Valendas GR oder die Fischerhäuser in Romanshorn TG.
Viele der gemeldeten Objekte wurden direkt an die kantonalen Heimatschutzsektionen weitergeleitet, wo sie eine angemessene Betreuung erhielten und in Form von Verhandlungen, Einsprachen oder Hilfestellungen eine Lösung – oft ohne eigentliche Publikation auf der Roten Liste – gefunden werden konnte.
In den letzten Jahren priorisierte die Geschäftsstelle die beiden Grossprojekte Ferien im Baudenkmal und das Heimatschutzzentrum in der Villa Patumbah. Die Rote Liste wurde nicht mehr aktiv bewirtschaftet, nicht zuletzt, weil sich die Welt des Internets und damit verbunden die Art und Weise des gesellschaftlichen Diskurses stark verändert haben. Der dank der Roten Liste entstandene Austausch zu einzelnen Fällen fand oft in direkten Gesprächen, per E-Mail oder via Medien statt. Drittmeinungen, Kommentare und begleitende Aufrufe, zum Beispiel für Spenden oder zum Unterschreiben von Petitionen, konnten nur schwer an die Fälle angeknüpft werden. Hier setzt die neu lancierte Rote Liste an.
Im Mittelpunkt der Plattform stehen weiterhin gefährdete Objekte, seien es erhaltenswerte Gebäude, Ensembles oder sonstige Zeugnisse des gebauten Kulturerbes. Die Rote Liste lebt aber neu in erster Linie von den Aktivitäten in den Sozialen Medien. Ein eindrückliches Beispiel für deren Wirksamkeit und das dort vorherrschende Tempo hat ein Fall im vergangenen Frühjahr geliefert: Für ein über 500-jähriges Haus in Mund bei Naters VS startete die Walliser Denkmalpflege via Schweizer Heimatschutz einen allerletzten Rettungsversuch. Der entsprechende Hinweis auf der Heimatschutz-Facebookseite erreichte Stefan Höhn, einen Fachmann für Strickbauten. Das war an einem Donnerstag – am Samstag fuhr er mit seiner Partnerin ins Wallis, um das Gebäude zu kaufen und anschliessend die Rettung einzuleiten.
Der Start der neuen Roten Liste ist Mitte Februar 2018 erfolgt. Neben zahlreichen Möglichkeiten zur aktiven Teilnahme für alle Interessierten – teilen, bewerten, kommentieren, unterstützen! – können sich vor allem auch Heimatschutzsektionen mit ihren aktiven Fällen oder lokale Gruppen, die sich um die Rettung oder den Erhalt eines Objektes bemühen, einbringen.
Ein Fall, der schweizweit für Aufsehen gesorgt hat, ist zum Auftakt auf der Roten Liste vertreten: In Steinen SZ sind 700-jährige Holzhäuser akut vom Abbruch bedroht. Die Schwyzer Regierung schlug vergangenen Herbst ein Fachgutachten der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege (EKD) in den Wind und gab für ein Haus an der Lauigasse aus der Zeit der Schlacht bei Morgarten (1315) die Abbruchbewilligung. Dagegen reichten der Schweizer Heimatschutz und seine Sektion Schwyz beim kantonalen Verwaltungsgericht Beschwerde ein. Dieses hat den Abbruch in der Folge vorerst untersagt. Ein abschliessender Entscheid wird in nächster Zeit erwartet. Auf der Roten Liste wird laufend über die aktuellen Entwicklungen berichtet.
Dass ein Projekt wie die Rote Liste auch kostet, ist selbstverständlich. Auf unserer Website finden sich zahlreiche Möglichkeiten, direkt zum Ausbau der Roten Liste beizutragen – von konkreten Spenden für einzelne Fälle oder für die Plattform als Ganzes bis zum Antrag für eine Mitgliedschaft beim Schweizer Heimatschutz – das wohl stärkste Commitment zum Hinschauen und Mitmachen.